Der Strommarkt ist kein Wettbüro

Perspektivenlosigkeit und Spekulation statt Marktwirtschaft

Es ist eine alte Binsenweisheit, dass man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen darf. Die Ergebnisse der ersten Ausschreibung für die Offshore-Windenergie in Deutschland haben bei vielen Beobachtern – auch in Österreich – für Verwirrung gesorgt. Drei von vier Windparks erhielten Zuschläge, in deren Gebote keine Förderprämie einkalkuliert wurde. Der in diesen Windparks – vielleicht einmal – erzeugte Strom würde also nur den Marktpreis erlösen, aber keine zusätzliche Förderung erhalten. Viele haben sich von diesen Geboten ohne Marktprämie blenden lassen, offenbar aber die damit verbundenen Umstände nicht mitbedacht. Generell fehlt es ja dem energiepolitischen Diskurs in Österreich meist an fachlicher Substanz und differenzierter Betrachtung.
Es ist wichtig zu wissen: Diese erste deutsche Offshore-Ausschreibung ist eine Sonderregelung für Projekte in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium. Diese Tranche, in der in zwei Runden insgesamt 3.100 MW versteigert werden, ist ausschließlich und nur dieses eine Mal für bereits fertig entwickelte Windenergieprojekte zugänglich. Nach dieser Übergangsphase dürfen an zukünftigen Ausschreibungen nur mehr neue Projekte teilnehmen. Bestehende Projekte, die jetzt nicht zum Zug kommen, können dann nicht mehr umgesetzt werden.

Enormer Zuschlagsdruck

In dieser Tranche sind Projekte mit einem Gesamtvolumen von 6.000 bis 7.000 MW teilnahmeberechtigt, für die bereits erhebliche Investitionen getätigt wurden. Es bestand daher für die Bieter ein enormer Druck, unbedingt einen Zuschlag zu erhalten, da sie ihre Projekte sonst gar nicht bauen können und als Verlustgeschäft im hohen zweistelligen Millionenbereich sofort abschreiben müssen. Deshalb haben sie unter Verzicht auf Förderung angeboten.
Ein Zuschlag wird trotzdem als Erfolg gesehen, gibt er doch das Recht, den Windpark errichten und ans Netz anschließen zu dürfen. Die Netzanschlusskosten sind sogar gratis, weil sie vom Staat übernommen werden. (In Österreich müssten die Betreiber diese tragen und allein für das vorgelagerte Netz 200 Millionen Euro bezahlen.) Zusätzlich wird damit eine Einspeisegarantie für den erzeugten Strom für 25 Jahre gewonnen. Kostenseitig profitieren die Projekte von nahegelegenen geförderten Windparks, deren Infrastruktur im Wert von mehreren hundert Millionen Euro sie mitnutzen können.
Vier Projekte erhielten in dieser ersten Runde einen Zuschlag, drei mit einem Gebot ohne Marktprämie, eines mit einem Gebot von 6 Cent/kWh. Lediglich zwei Unternehmen Zuschläge erhalten: EnBW, der ehemalige Landesenergieversorger von Baden-Württemberg (heute hält das Land einen Anteil von 47%), und DONG Energy, der ehemalige dänische staatliche Energieversorger (heute ist der Staat mit 57% Mehrheitseigentümer).
Abgesehen von dem enormen Druck, ihre Projekte realisieren zu müssen, da diese sonst verfallen, gehen die bietenden Unternehmen mit ihren Geboten ohne Marktprämie offenbar von Annahmen aus, die hoch spekulativ und fern jeglicher Kostenwahrheit sind.

Spekulative Zukunftswetten

Sie spekulieren etwa darauf, dass in den nächsten Jahren die CO2-Preise und damit die Strommarktpreise stark steigen werden. Dafür bräuchte es aber einen funktionierenden Emissionshandel innerhalb der EU, der derzeit mit freiem Auge nicht sichtbar ist. Fakt ist dagegen, dass der CO2-Preis bei rund fünf Euro pro Tonne dahintümpelt – und damit keine preisrelevante Wirkung hat – und dass der Strommarktpreis von 2008 bis 2016 um 70% gefallen ist.
Zusätzlich wird ein gewaltiger Technologiesprung bei den Offshore-Windkraftanlagen vorausgesetzt, für den es in dieser Dimension derzeit noch überhaupt keine Konzepte gibt: Um die einkalkulierte massive Kostendegression zu erbringen, müssten die neuen Windkraftwerke über eine fast doppelt so hohe Leistung verfügen wie die größten derzeit existierenden. EnBW und DONG Energy rechnen damit, dass im Jahr 2025 Anlagen mit einer Leistung bis zu 15 MW verfügbar sein werden – die derzeit größte verfügbare Anlagenleistung beträgt 8 MW.
Deswegen ist nicht annähernd sicher, ob diese Offshore-Windparks überhaupt jemals gebaut werden. Auf jeden Fall werden sie nicht in naher Zukunft errichtet werden, sondern frühestens in etwa acht Jahren. Samuel Leupold, CEO Wind Power bei DONG Energy, stellte unmissverständlich klar, dass die Investitionsentscheidungen dafür erst 2021 getroffen werden. Somit werden wir frühestens 2025 wissen, ob auf Basis der hoch spekulativen Annahmen diese Windkraftleistung auch tatsächlich zur Verfügung gestellt wird.
Die Gebote ohne Marktprämie sind also eine brisante Mischung aus Perspektivenlosigkeit und Zukunftswette. Gewettet wird ins Ungewisse auf die zukünftigen Strom- und CO2-Preise, auf die zukünftig verfügbare Anlagenleistung und den Anlagenpreis. Der Strommarkt aber ist kein Wettbüro, und die sichere Stromversorgung darf nicht von Wetten von Spekulanten abhängen.
Übrigens: Wie hoch ist überhaupt das Risiko für die spekulierenden Unternehmen? Als Sicherheiten für eventuelle Pönalen, sollten die Projekte dann doch nicht umgesetzt werden, haben EnBW 90 Millionen Euro und DONG Energy 59 Millionen Euro hinterlegt. Zum Vergleich: 2013 hat EnBW 1,5 Milliarden (!) Euro abgeschrieben, RWE gar 4,5 Milliarden. Für staatliche gestützte Unternehmen also vernachlässigbar.
Dazu kommt, dass es im WindSee-Gesetz einen Passus gibt, der es dem Bieter unter Umständen ermöglicht, einen Zuschlag ohne Strafzahlung zurückzugeben, wenn wegen vorher nicht erkennbaren Hindernissen die Anpassung der Planung für den Bieter nicht zumutbar ist.

Grundlegende Erneuerung

Eine Diskussion allein über die Förderungen für erneuerbare Energien greift viel zu kurz. Es geht nicht um die „Marktfähigkeit“ der Erneuerbaren im derzeitigen überalterten, fossil-atomar geprägten Markt, vielmehr ist eine vollständige Neugestaltung des Strommarktes notwendig. Bis diese Neugestaltung allerdings wirksam wird, braucht es Anreize für den Ausbau der erneuerbaren Energien, um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens erreichen zu können. In Österreich braucht es zudem dringend eine fachliche Diskussion über eine Klima- und Energiestrategie sowie die grundlegende Erneuerung des Ökostromgesetzes ganz ohne Ausschreibungen, die konform mit dem EU-Recht auch gar nicht verpflichtend sind.

Spekulation und Zukunftswette

• Die erste Tranche der deutschen Offshore-Ausschreibungen ist eine einmalige Sonderregelung für alte Projekte.
• Windparks werden nicht jetzt, sondern frühestens 2025 gebaut.
• Die Gebote sind „Wetten“ auf die zukünftigen Strom- und CO2-Preise, auf die verfügbare Technik und die Anlagenpreise.
• Für Pönalen hinterlegte Sicherheiten haben nahezu keine Wirkung, sogar eine Rückgabe des Zuschlags ohne Pönale ist möglich.
• Es ist aus heutiger Sicht völlig unklar, ob diese Windparks überhaupt jemals gebaut werden.
• Eine Evaluierung der Ausschreibungen ist erst nach dem Ende der Errichtungsfrist möglich.

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Dieser Artikel erschien in unserer Mitglieder-Zeitung "windenergie".