Total verzerrter Strommarkt

Warum wir langfristig ein neues Ökostromgesetz brauchen.

© Fotolia - Ingo-Bartussek
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Das bestehende, 2012 in Kraft getretene Ökostromgesetz (ÖSG) ist das beste Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energie, das es in Österreich bisher gegeben hat. Die EU-Kommission hat dieses Gesetz bis 2022 genehmigt. Aufgrund des damit geschaffenen rechtlichen Rahmens wurden im Zeitraum 2012 bis 2015 im Jahresdurchschnitt 550 Millionen Euro in den Ausbau der österreichischen Windkraft investiert. Kein anderer Industriezweig außer der chemischen Industrie konnte ein solches Investitionsniveau auch nur annähernd erreichen. Durch die radikalen Veränderungen am Strommarkt ist aber nun schon seit mehreren Jahren absehbar, dass auch das ÖSG geändert und an die neuen Gegebenheiten angepasst werden muss.
Wir sind heute in Europa mit einem komplett verzerrten Strommarkt konfrontiert. Das hat verschiedene Ursachen. Heikles Thema: Subventionen. Kohle- und Atomkraftwerke bekommen in Europa mit 61 Milliarden Euro jährlich mehr als doppelt so hohe Subventionen wie alle erneuerbaren Energien mit 30 Milliarden Euro in Summe. Dabei sind Gesundheits-, Versicherungskosten und Folgekosten noch gar nicht mit eingerechnet. Allein die Kohleverstromung verursacht zusätzlich rund 40 Milliarden Euro Gesundheitsfolgekosten.

Marktverzerrende Subventionen

Auch in Österreich wird die Kohleverstromung bevorzugt und indirekt subventioniert. Jede Privatperson muss bei der Verwendung von Kohle eine Kohleabgabe zahlen. Betreiber von Kohlekraftwerken sind von dieser Abgabe befreit. Dadurch haben sie sich seit 2003 rund 1,1 Milliarden Euro erspart, Geld das dem Staatshaushalt verlorengeht. Im Gegensatz zur Ökostromabgabe werden Sie diese Subventionen aber auf Ihrer Stromrechnung nicht finden.
Gefährliches Thema: Atomkraft. Zurzeit unternimmt die Atomindustrie-Lobby in Europa verzweifelte Versuche, nicht vollends aus der Stromproduktion verdrängt zu werden. Und während weiterhin über die Kosten der Ökostromförderung diskutiert wird, garantiert die britische Regierung dem Betreiber des AKW Hinkley Point C einen exorbitant hohen, indexgesicherten Einspeisetarif von rund 12 Cent/kWh auf 35 Jahre. Auf diese Laufzeit gerechnet würde das in Summe Kosten von rund 170 Milliarden Euro ergeben. Wie der britische Rechnungshof kritisch angemerkt hat, könnte mit diesem Geld die gesamte Windkraftleistung in Europa verdoppelt werden. Kosten, die noch für Haftungsübernahmen, Stromleitungsbau und Kreditvergaben dazukommen, sind da noch gar nicht mitgerechnet.
Die EU-Kommission, die die Kosten für Strom aus erneuerbaren Energien senken will, hat diese Atom-Subvention bereitwillig abgesegnet. Österreich hat gegen diese marktverzerrende Entscheidung beim Europäischen Gerichtshof geklagt. Staaten wie Ungarn oder Tschechien wollen Großbritannien juristisch unterstützen. Beide Staaten haben großes Interesse, dass diese Monstersubvention aufrecht bleibt, denn sie könnte als Blaupause für weitere neue Atomkraftwerke in Europa herhalten, die ohne diese staatlichen Subventionen nicht kostendeckend gebaut und betrieben werden können.

Emissionen ohne Kosten

Schmutziges Thema: Kosten für CO2-Emissionen. Im Jahr 2005 führte die EU-Kommission den Emissionsrechtehandel mit CO2-Zertifikaten ein. Deklariertes Ziel war, die externen klimaschädlichen Verschmutzungskosten der Stromerzeugung in die betriebswirtschaftliche Kostenrechnung einzupreisen und dadurch Kraftwerke mit hohem CO2-Ausstoß – also vor allem Kohlekraftwerke – aus dem System zu bekommen. Eine Reihe von Fehlentwicklungen hat aber rasch zu einem Scheitern des CO2-Handels geführt.
Unmengen an Zertifikaten wurden gratis vergeben. Aber gerade Unternehmen mit hohem CO2-Ausstoß haben den fiktiven Kaufpreis – ohne tatsächliche Kosten – eingepreist und damit hohe Windfall-Profits, also Gewinne ohne Leistung gemacht. Mit dem „gewonnenen“ Geld haben sie neue Kohlekraftwerke gebaut, die unsinnigen Gratiszertifikate haben also ungewollt die Anzahl der Kohlekraftwerke erhöht statt reduziert. Zusätzlich wurden dann auch noch Elemente des CO2-Handelssystems des Kyoto-Protokolls wie die Joint Implementation und der Clean Development Mechanism in den europäischen CO2-Handel integriert. Durch diese Freikauf-Projekte stieg die Anzahl der Zertifikate noch zusätzlich.
Als 2008 die Finanzkrise detonierte und die Wirtschaft einbrach, waren in kurzer Zeit doppelt so viele Zertifikate am Markt, wie tatsächlich gebraucht wurden. Dieses Überangebot führte zum endgültigen Zusammenbruch des Emissionshandels. Statt wie geplant 30 Euro kostet eine Tonne CO2 heute gerade einmal fünf Euro. Die Verschmutzung der Atmosphäre durch CO2-Emissionen kostet somit fast gar nichts mehr, und selbst Kohlekraftwerke, die schon stillgelegt waren, nahmen unter diesen Bedingungen die Produktion wieder auf.
Bis heute hat die EU-Kommission es nicht geschafft, das System zu reparieren. Mit dem Effekt, dass europäische Kohlekraftwerke auf Hochtouren laufen und die Betreiber satte Gewinne machen, weil sie für ihren CO2-Ausstoß nicht zur Kasse gebeten werden. Ein europaweites Überangebot an Strom, das den Strommarktpreis extrem in den Keller gefahren hat, ist die fatale Folge. 2011 exportierte Deutschland noch rund 6 TWh Strom, wegen der Überproduktion an Kohlestrom waren es 2015 dann schon 50 TWh – das bewegt sich fast schon in Größenordnungen, wie der gesamte österreichische Stromverbrauch (rund 70 TWh) ausmacht. Wegen des irreal niedrigen Preises am Strommarkt können andere, real kalkulierende Kraftwerke derzeit oft nicht kostendeckend Strom erzeugen.

Strom, den niemand braucht

Heißes Thema: konventionelle Überproduktion. Immer wieder hört oder liest man in den Mainstream-Medien von Windstrom, der zu viel sein soll, oder von Sonnenstrom, der angeblich die Netze verstopfen soll. Die Wirklichkeit jedoch anders aus: Unflexible Kohle- und Atomkraftwerke produzieren Unmengen an schmutzigem und gefährlichem Strom, den niemand braucht. Kohle- und Atomkraftwerke können so gut wie gar nicht auf den tatsächlichen momentanen Bedarf reagieren. Sie laufen Tag und Nacht, ob der Strom gebraucht wird oder nicht.
Drei Viertel der Stromproduktion in Europa kommen nach wie vor aus konventionellen Kraftwerken. Wie kann dann der Strom der erneuerbaren Energien zu viel sein? Ja es ist sogar so: Wenn Wind weht und damit Strom erzeugt wird, werden etwa in Deutschland Windkraftwerke abgestellt und nicht Kohlekraftwerke. Landläufig hört man dann, dass auf Grund von Netzengpässen Windräder abgeschaltet werden müssen. Tatsächlich werden sie aber abgeschaltet, weil die schwerfälligen Braunkohle- und Atomkraftwerke nicht kurzfristig zu regeln sind. Wohlgemerkt: Das passiert, obwohl eine EU-Vorschrift festlegt, dass erneuerbare Energien vorrangig eingespeist werden müssen.

Klimaschutzabkommen

Im Klimaschutzabkommen von Paris hat die weltweite Staatengemeinschaft sich geeinigt, den durch den Klimawandel bedingten Temperaturanstieg auf weit unter 2° C (wenn möglich unter 1,5° C) zu begrenzen. Österreich hat diesem Abkommen zugestimmt und verkündet, bis 2030 die Stromerzeugung zu 100% auf erneuerbare Energien umzustellen. Konkrete Maßnahmen, die die Erreichung dieses Zieles wahrscheinlich machen, bleibt die Bundesregierung bis jetzt schuldig. Und das, trotzdem es auf Landes- und Gemeindeebene sowie in der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung ein klares Bekenntnis zu erneuerbaren Energien und insbesondere zur Windenergie gibt.
Eine umfassende Reform des ÖSG ist dringend notwendig, um den geänderten Anforderungen Rechnung zu tragen und einen ambitionierten Neustart der österreichischen Klima- und Energiepolitik hinzulegen. Um die Ziele von Paris schaffen zu können, zu denen sich Österreich vertraglich verpflichtet hat, muss neben der Erhöhung der Energieeffizienz vor allem der Ausbau der erneuerbaren Energien wesentlich beschleunigt und sichergestellt werden. Und dafür braucht es eine zeitgemäße, realitätsnahe und willensstarke rechtliche Grundlage.

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Dieser Artikel erschien in unserer Mitglieder-Zeitung "windenergie".