Dringender Handlungsbedarf für die Energie- und Klimapolitik

Ein Jahr und fünf Monate nach ihrer Angelobung ging die Regierung Kurz zu Bruch. Das derzeit wohl bekannteste Video Österreichs war die Abrissbirne. Am Abend des 18. Mai dann die Entscheidung: Neuwahlen! Für die österreichische Energie- und Klimapolitik entstand dadurch eine zwiespältige Situation. Zum einen eröffnen neue Konstellationen die Chance, die von der Klimaforschung festgestellte „politische Blockade“ aus dem Weg zu räumen, zum anderen besteht aber die akute Gefahr, dass für den Klimaschutz ein weiteres Jahr ungenutzt verstreicht.

Kritische Ausgangslage

Die jetzt zerschlagene Regierung hat das Inkrafttreten eines „Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes“ für Anfang 2020 angekündigt. Doch heuer soll erst im September neu gewählt werden. Folgen dann die üblichen langwierigen Koalitionsverhandlungen, ist mit einer handlungsfähigen Regierung nicht vor Ende des Jahres zu rechnen. In weiterer Folge muss davon ausgegangen werden, dass ein neues Gesetz für den dringend notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien nicht vor Anfang 2021 wirksam würde. Deswegen kann
der Klimaschutz nicht warten, bis die neue Bundesregierung im Amt ist.
Österreichs Energie- und Klimapolitik strebt bis 2030 klar definierte Ziele an. Und auch wenn die Kritik aus Kreisen der Klimawissenschaft vollkommen berechtigt ist, dass diese Ziele viel zu niedrig sind, um dem Pariser Klimaabkommen
gerecht zu werden, müssen zumindest diesen Vorgaben auf jeden Fall konsequent verfolgt werden. Die Ausgangslage ist ohnehin alles andere als einfach.
2017 sind die gesamten THGEmissionen im dritten Jahr in Folge gestiegen und lagen damit sogar über dem Wert von 1990. Bis 2030 sollen diese Emissionen (im Vergleich zu 2005) um 36 % reduziert werden, doch schon das Etappenziel bis 2020 von minus 16 % wird deutlich verfehlt werden. Der deswegen notwendige Ankauf von Emissionszertifikaten wird die Republik bis 2030 in Summe zwischen 7 und 10 Milliarden Euro kosten. Weitere 10 Milliarden an Klimafolgekosten kommen in diesem Zeitraum dann noch dazu. Und vor allem: Die Welt bleibt ja 2030 nicht stehen. Alles, was wir bis dahin beim Klimaschutz nicht geschafft haben, werden wir darüber hinaus als kostspielige Altlasten weiter mitschleppen. Erstmals verfehlte Österreich 2017 nach Angaben des Umweltbundesamtes auch die nationalen Klimavorgaben nach dem Klimaschutzgesetz. In dieser Situation verlangt das Gesetz sofortige Verhandlungen über Klimaschutz-Maßnahmen, um prompt gegensteuern zu können. Aufschub und Verzögerung wären also ein Gesetzesbruch.

Gefahr in Verzug

Bis zum Jahr 2000 war Österreich Stromexporteur, seither hat sich eine immer größer werdende Versorgungslücke aufgetan. 2018 hat der Anteil der Nettostromimporte am Stromverbrauch mit 14 % erneut einen der höchsten jemals verzeichneten Werte erreicht. 400 Millionen Euro mussten dafür ins Ausland überwiesen werden – Geld, von dem Kohle- und Atomkraftwerke in unseren Nachbarländern profitieren. Es ist also keineswegs eine Übertreibung, wenn wir für die österreichische Energie- und Klimapolitik „Gefahr in Verzug“ konstatieren. Das sieht auch Peter Püspök, Präsident des Dachverbandes Erneuerbare Energien Österreich (EEÖ), so, der pointiert formuliert: „Wenn ein Haus brennt, kann man nicht zuerst einen neuen Feuerwehrhauptmann wählen.“ Püspök verweist auf die Dringlichkeit von konkreten Maßnahmen: „De facto wurde seit dem Ökostromgesetz 2012 in Österreich keine substantielle gesetzliche Maßnahme realisiert, die das größte Problem dieses Jahrhunderts, die Klimakatastrophe, in Angriff nimmt. Neun für den Klimaschutz verlorene Jahre sind aber eindeutig zu viel.“

Klima-Not-Paket gefordert

Der EEÖ fordert alle Parteien dringend auf, die bis zur Wahl verbleibende Zeit zu nutzen, um ein „Klima-Not-Paket“ zu beschließen, das den raschen Ausbau der erneuerbaren Energien auf einem wesentlich höheren Niveau als bisher ermöglicht. Dazu gehört auch ein Abbau der bestehenden Warteschlange von fertig genehmigten Projekten. „Wir brauchen dringend einen nationalen Schulterschluss, um in Österreich endlich wirksame Klimaschutzmaßnahmen in Gang zu setzen. Jede Partei, die sich einer solchen Notmaßnahme jetzt verschließt, wird im Wahlkampf beim Thema Klimaschutz unglaubwürdig sein“, sagt Püspök. „Für eine neue Regierung bleibt in Sachen Klimaschutz ohnehin sehr viel zu tun. Aber ein weiteres Jahr bei diesem dringenden Thema zu versäumen ist absolut unverantwortlich.“

Der EEÖ schlägt die Einberufung einer Arbeitsgruppe mit hochrangigen Vertretern aller Parteien vor, die den Auftrag erhalten soll, binnen vier Wochen ein Gesetzespaket zu erarbeiten. Dieses Paket muss unmittelbar wirksame Maßnahmen für den Klimaschutz durch einen stark beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien bringen. Die geeigneten Instrumente sind laut Püspök ohnehin allen Beteiligten hinlänglich bekannt: „Jetzt ist die Zeit, für den Klimaschutz Notmaßnahmen zu setzen. Sprechblasen im Wahlkampf bringen uns nicht weiter. Mit einem raschen Startschuss für eine solche Aktion können die Parteien die Ernsthaftigkeit ihrer Absichten zum Klimaschutz unter Beweis stellen. Ansonsten müssen sie der Bevölkerung erklären, warum in Österreich noch einmal eineinhalb Jahre nichts geschehen wird.“

Krise als Chance nutzen

IGW-Chef Stefan Moidl unterstützt diesen Vorschlag Püspöks und ergänzt: „Gemäß den nationalen Zielen sollen wir bis spätestens 2030 100 % Strom mit erneuerbaren Energien liefern. Durch die Auflösung der Regierung haben wir eine echte Notsituation, die Zeit läuft uns davon. Aber die Krise ist auch eine Chance, wenn alle Beteiligten die Gunst der Stunde mit einem überparteilichen Schulterschluss nutzen.“ Moidl sagt, in den nächsten Wochen werde sich zeigen, welche Position die Parteien tatsächlich in ihrer Energie- und Klimapolitik vertreten. Er denkt dabei schon einen Schritt weiter: „Es eröffnet sich jetzt die überraschende Möglichkeit, dass es doch eine positive Zukunft für ein neues Ökostromgesetz, für eine große ökosoziale Steuerreform und viele andere aktive Klimaschutzprojekte geben kann und bereits in wenigen Monaten die politische Basis für deren Umsetzung gegeben ist. Dann können die erneuerbaren Energien bald genug sauberen Strom für den Ausbau der E-Mobilität und die sukzessive Umstellung der Wärmesysteme liefern.“

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Dieser Artikel erschien in unserer Mitglieder-Zeitung "windenergie".