Neue Potentiale im Westen von Österreich erschließen

Für das 100%-Ziel braucht es Windkraft auch in Salzburg, Tirol, Vorarlberg und Kärnten.

„Wenn wir in Österreich das Ziel von 100% Ökostrom bis 2030 schaffen wollen, müssen wir nach Westen und nach Süden blicken.“ Kurz und knapp fasst Hans Winkelmeier von Verein und Technisches Büro Energiewerkstatt ein Thema zusammen, das in den nächsten Jahren die Entwicklung der österreichischen Windkraft intensiv mitbestimmen wird. Denn um diese 100% Stromversorgung mit erneuerbaren Energien bis 2030 zu erreichen, muss die Windkraft bis dahin netto rund 4.400 MW zubauen. (Der Nettozubau weist den Zuwachs abzüglich der ersetzten Repowering-Leistung aus.)

Bild: © LeitwindBild: © Leitwind

Je nach Windaufkommen und damit erzielbarem Ertrag können Standorte in Österreich in drei Güteklassen eingeteilt werden: A, B und C. Die derzeitigen Windkraftanlagen finden sich konzentriert in einigen wenigen Regionen in Ostösterreich und zum kleinen Teil in der Steiermark. Sie liegen zu 90% in Gebieten der Güteklasse A, also an Standorten mit überdurchschnittlich
guten Windverhältnissen.

B-/C-Standorte notwendig

© Frauenhofer IEE
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Der Verein Energiewerkstatt hat gemeinsam mit der IG Windkraft den bis 2030 real möglichen Nettozubau auf Flächen der Güteklasse A in den klassischen Windregionen Österreichs berechnet und ist zum Schluss gekommen, dass die hier noch verfügbaren Flächen sehr beschränkt sind: „Die Realisierbarkeit von zusätzlichen rund 4.400 MW Windkraftleistung bis 2030 auf Flächen der Güteklasse A ist unwahrscheinlich, weil sie abhängig ist vom Konsens mit der Landes- und Gemeindepolitik, von natur- und landschaftsfachlicher Freigabe und der Verfügbarkeit eines entsprechend leistungsfähigen Stromnetzes.“

Zur Erreichung des 100%-Ökostrom-Zieles wird es daher unerlässlich sein, vermehrt die B- und C-Standorte in Regionen zu erschließen, in denen die Windkraft bislang noch nicht so präsent war. Winkelmeier weist in diesem Zusammenhang auf die regionale Verteilung in Deutschland hin. Dort wurden in den letzten zehn Jahren im Durchschnitt nur etwa 20% der Windkraftanlagen auf Standorten errichtet, die der österreichischen Güteklasse A entsprechen. Die restlichen 80% der Anlagen stehen in der Güteklasse B und C. Daher sind die Standorte der Windräder in Deutschland deutlich gleichmäßiger über das ganze Bundesgebiet verteilt, als es in Österreich der Fall ist.

Winkelmeier sieht darin einige Vorteile: „Die breitere regionale Verteilung der Windkraftnutzung stärkt die Akzeptanz in der Bevölkerung, wirkt sich günstig bei der Netzintegration aus und ist daher volkswirtschaftlich äußerst sinnvoll.“ Gerade die Dezentralisierung der Stromerzeugung ist eine wesentliche Stärke der erneuerbaren Energien, weil durch die lokale Nutzung des erzeugten Stroms der Ausbaubedarf des überregionalen Stromnetzes und damit auch die Kosten gesenkt werden. Darüber hinaus ermöglicht ein Fördermodell, dass die Förderhöhe nach Standorten differenziert, eine effizientere Vergabe.

Es ist also aus mehreren Gründen sinnvoll, in der nächsten Ausbauphase auch die B- und C-Standorte stärker in den Fokus zu rücken. Denn damit werden nun auch die westlichen Bundesländer Salzburg, Tirol und Vorarlberg sowie im Süden Kärnten als Windregionen interessant. So könnte etwa allein in Westösterreich bis 2030 ein Potential von 1.000 MW Windkraftleistung erschlossen werden, etwa so viel wie derzeit im Burgenland errichtet ist.

Zwei Voraussetzungen

© Verein Energiewerkstatt
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Zwei Voraussetzungen sind dafür allerdings unabdingbar. Erstens muss im derzeit im Entwurfsstadium befindlichen Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz ein standortspezifisches Fördermodell
– ähnlich dem deutschen Referenzertragsmodell – vorgesehen werden, mit dem die unterschiedliche, geringer ergiebige Ertragssituation an B- und C-Standorten bewertet und ausgeglichen wird. „Wir reden hier auf C-Standorten mit modernen Windkraftanlagen noch immer von einer Strommenge pro Windrad, die 2.000 Haushalte versorgen kann“, erklärt Winkelmeier. Zweitens muss in den genannten Bundesländern der politische Wille da sein, ihren Beitrag zur erforderlichen Windstromproduktion zu leisten. Diese Überzeugungsarbeit wird vor allem auch Sache der Bundesregierung sein müssen.

In Salzburg bereitet die Landesregierung eine Klimastrategie bis 2030 vor, in der sie den aktuellen Erfordernissen Rechnung tragen könnte. Joachim Payr, Geschäftsführer der EWS Consulting, skizziert: „Wenn die Landesregierung die von ihr selbst für die Aufstellung von Windrädern erlassenen Abstandsregelungen anwendet, ergibt das ein längerfristiges Potential von 160 modernen Anlagen. Allein mit denen könnte so viel Strom erzeugt werden, wie in Zukunft alle Elektrofahrzeuge in diesem Bundesland verbrauchen werden. Weil Strom zukünftig auch verstärkt im Verkehrs- und Wärmesektor eingesetzt wird, wird der Stromverbrauch Salzburgs um 100% zunehmen. Allein ein Drittel davon kann der Windstrom liefern.“

Tirol hat seit 2014 eine Strategie „Tirol 2050 energieautonom“. Auf der offiziellen Website dazu kommt die Windkraft nicht einmal vor. Bekannt ist auch, dass die Tiwag 24% ihres verkauften Stroms mit norwegischen Wasserkraftzertifikaten kennzeichnet und damit einen sehr hohen Anteil an Atom- und Kohlestrom als Ökostrom tarnt. Die vorgebliche Sorge „um die Natur“, womit in der Regel mit moderner Technik betriebene Schigebiete gemeint sind, kann auf Dauer auch nicht als Argument ernstgemeint sein. Eine ökologische Aufwertung mit sauberem Windstrom würde den Regionen sogar einen touristischen Mehrwert bringen.

Positive Erfahrungswerte

Die oft geäußerte Sorge wegen möglicher negativer Auswirkungen auf den Tourismus ist durch Erfahrungswerte faktisch zu entkräften. Auf der steirischen Stubalpe betreibt Friedl Kaltenegger das Schigebiet Salzstiegl. Den Strom für alle Seilbahnanlagen und die gesamte Infrastruktur erzeugt er mit zwei Windrädern am Berg selbst. Er weiß: „Die meisten unserer Gäste sind technischen Neuerungen gegenüber sehr aufgeschlossen; sie wissen, dass der ganze Berg nur mit viel Technik funktioniert. Und die Leute finden es gut, dass wir uns über alternative Energiegewinnung Gedanken machen.“

Diese Einschätzung teilt auch Robert Nusser, Co-Geschäftsführer des Windparks Pretul der Österreichischen Bundesforste: „Gerade in der Steiermark zeigen mehrere erfolgreiche Projekte, dass die Erzeugung von Windenergie am Berg naturverträglich umgesetzt werden kann. Die öffentliche Akzeptanz dieser Projekte hängt aus unserer Sicht entscheidend davon ab, wie sehr Gemeinden, Tourismusverbände und Naturschutzorganisationen in die Entwicklung ganzheitlicher Konzepte eingebunden werden. Damit entstehen Modelle, die auch Vorbild für andere Regionen sein können.“

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Dieser Artikel erschien in unserer Mitglieder-Zeitung "windenergie".