Die weltweiten CO2-Emissionen müssen rasch reduziert werden

Nur sofortiges Handeln sichert genug Spielraum

Im Juni 2017 hat eine Gruppe von 60 bedeutenden Wissenschaftlern, führenden Managern aus der Wirtschaft und engagierten Vertretern von NGOs einen dringenden Appell an die G-20-Staaten gerichtet. In einem in der angesehenen Wissenschaftszeitschrift „Nature“ veröffentlichten Text fordern sie die 20 führenden Industrieländer und aufstrebenden Schwellenländer mit großem Nachdruck auf, ihre Anstrengungen zur Eindämmung des Klimawandels massiv zu beschleunigen.

Emissionskurve muss fallen

© Nature / Global Carbon Project
 © Nature / Global Carbon Project

Sollten nämlich die Treibhausgasemissionen über 2020 hinaus steigen oder auf derzeitigem Niveau bleiben, seien die Ziele des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung unter 2 °C, bestenfalls sogar unter 1,5 °C zu begrenzen, nahezu unerreichbar. Spätestens 2020 muss also die Wende geschafft werden, spätestens dann muss der höchste Ausstoß an Treibhausgasemissionen überschritten werden und die Emissionskurve zu fallen beginnen.
In Summe dürfen nur mehr 600 Gigatonnen CO2 emittiert werden, dann muss Schluss sein mit den Emissionen. Derzeit werden jährlich rund 40 Gigatonnen CO2 freigesetzt. Ginge es in diesem Tempo weiter, wäre das globale Emissionsbudget in 15 Jahren verbraucht, und dann müssten gravierende und äußerst schmerzhafte Notfallmaßnahmen gesetzt werden. Ein rasch begonnenes und dann stufenweise fortgesetztes Absenken der Emissionen hingegen würde es der Weltwirtschaft ermöglichen, sich den notwendigen Veränderungen geschmeidiger anzupassen.
Deswegen rufen die Wissenschaftler – unter anderem die frühere UNO-Klimachefin Christiana Figueres und Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung – zu beschleunigtem Handeln auf. Ihr Katalog an wesentlichen Zielen, die bis 2020 erreicht werden müssen, um die Klimawende zu schaffen, umfasst sechs Bereiche. Im Energiesektor sollen Erneuerbare mindestens 30% des weltweiten Strombedarfs decken (2015 waren es 23,7%). Nach 2020 dürfen keine neuen Kohlekraftwerke mehr genehmigt werden, bestehende müssen auslaufen. Investitionen in erneuerbare Energien sollen auf 700 Milliarden US-Dollar aufgestockt werden. Die Energiemärkte sollen derart neu gestaltet werden, dass sie die rasche Expansion erneuerbarer Energien ermöglichen und vorantreiben.
Weiters sollte die Gebäude-Infrastruktur in Richtung (Fast-)Null-Emissionen modernisiert werden. Im Transportsektor geht es um den raschen Ausbau der Elektromobilität, eine Verdoppelung des öffentlichen Verkehrs und eine deutliche CO2-Reduktion von Flugzeugen. Drastische Emissionsreduktionen werden in Landwirtschaft und Industrie gefordert. Und schließlich sollten im Finanzsektor Klimainvestitionen forciert, die Förderung fossiler Energien beendet und Preismechanismen für CO2 eingeführt werden.

Ambivalente Stimmen

© Nature / Global Carbon Project
 © Nature / Global Carbon Project

Am 19. Mai 2017 verkündete die Financial Times auf der Titelseite: „The Big Green Bang: how renewable energy became unstoppable“. Doch auch wenn die Botschaft in der globalen Finanzwelt angekommen und die Transformation des Energiesystems bereits voll im Gang ist, ist die Energiewende deswegen noch lange kein Selbstläufer. Josef Spitzer, Energieexperte an der TU Graz und Mitglied in internationalen Energiebeiräten, warnte in einem Kommentar im „Standard“: „Vor dem Hintergrund der aktuellen Prioritäten in der Europa- und Weltpolitik ist nicht zu erwarten, dass die für eine einschneidende Neuorientierung der Energieversorgung notwendigen Maßnahmen zur Erreichung des 20%-Ziels in absehbarer Zeit gesetzt werden können.“ Mit dem 20%-Ziel meint Spitzer die bei der Weltklimakonferenz bestätigte Notwendigkeit, die globalen CO2-Emissionen langfristig auf rund 20% des Wertes von 1990 zu reduzieren. Spitzer konkretisiert es: „Das langfristige Ziel ist also die Reduktion der Emissionen auf 4,3 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr. Bis zum Jahr 2016 sind die jährlichen Emissionen aber auf 33,5 Milliarden Tonnen angestiegen!“
Diese Ambivalenz zwischen optimistischen und skeptischen Stimmen prägt derzeit die Diskussion über die Energiewende. Dennoch ist längst klar, wo die Reise hingeht, ja wo sie notwendigerweise hingehen muss – weg von allen fossilen Energien, weg von der gefährlichen und sündteuren Atomenergie, hin zu erneuerbaren Energien, steigender Energieeffizienz und klimaschutzrelevanten Technologien.
Der Branchenanalyst Bloomberg New Energy Finance rechnet damit, dass der weltweite Stromverbrauch bis 2040 um über 60% steigen wird. Mehr als 70% aller Investitionen in die Stromerzeugung bis 2040 werden für erneuerbare Energien getätigt werden, fast die Hälfte davon für die Windenergie. Ein entscheidender Angelpunkt wird sein, das über Jahrzehnte gewachsene und noch immer bestehende Ungleichgewicht zwischen den Subventionen und Förderungen für den fossil-atomaren Komplex einerseits und die Erneuerbaren andererseits zu beseitigen.

Angst vor Kostenwahrheit?

© IEA World Energy Outlook 2016
 © IEA World Energy Outlook 2016

Das gebetsmühlenartig wiederholte Pseudoargument, die Erneuerbaren müssten marktreif werden, muss endlich dem Faktenargument weichen, dass fossile Energien ebenso wie die Atomkraft längst nicht mehr wettbewerbsfähig wären, würden sie nicht mit einem Vielfachen dessen subventioniert, was die Erneuerbaren an Förderungen erhalten. Die Frage ist: Wer hat wirklich Angst vor der Kostenwahrheit?

© EV Volumes
 © EV Volumes

Eine treibende Kraft wird auch der Durchbruch der Elektromobilität sein – einer der kommenden Megatrends der globalen Energie-Transformation. Es gibt immer weniger billiges Öl, neues Öl aus Tiefseebohrungen, Teersanden und Schieferöl ist teuer. Schon jetzt fährt die Ölindustrie ihre Investitionen zurück und versucht mit Kosteneinsparungen ihre Margen zu retten. Weltweit sind 1.200 Millionen PKW auf den Straßen, 70 Millionen neue Autos werden jährlich verkauft. 2016 wurden 777.000 Elektroautos (inkl. Hybrid) neu zugelassen – eines von 100 neuen Autos wird also bereits elektrisch betrieben. Mit ihren stark sinkenden Kosten und rapide steigender Lebensdauer werden moderne Batterien der Elektromobilität zum Durchstarten verhelfen.
Klimaschutz wird die richtungsweisende Triebfeder für Innovation sein. Die auf Basis des Pariser Klimaabkommens notwendige Entwicklung und Transformation wird eine technologische Revolution auslösen, die das Bild der Welt in einem ähnlich gewaltigen Ausmaß verändern wird, wie es die industrielle Revolution, die Digitalisierung und – noch gar nicht lange her – das Internet getan haben.

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Dieser Artikel erschien in unserer Mitglieder-Zeitung "windenergie".