Insider-Informationen aus Brüssel

Ein Blick hinter die Kulissen

© EWEA / Jason Bickley
 © EWEA / Jason Bickley

Seit 1999 ist der Luxemburger Claude Turmes Abgeordneter für die Grünen im Europäischen Parlament. In dieser Zeit hat er einige der wesentlichen Reformen der EU zur Energie- und Klimapolitik federführend geleitet. Er ist einer der pointiertesten Befürworter der Energiewende. Anfang des Jahres hat er ein Buch vorgelegt, in dem er ungeschminkt die Hintergründe der EU-Energiepolitik offenlegt. Für das Internet-Magazin energypost.eu hat Sonja van Renssen ein Interview mit ihm geführt, das wir auszugsweise und mit freundlicher Genehmigung wiedergeben (Übersetzung: Gerhard Scholz).

Warum haben Sie dieses Buch geschrieben und warum jetzt?

Claude Turmes: Weil wir an einem entscheidenden Punkt der Planung und Entscheidung sind, wie die europäische Energie- und Klimapolitik in den nächsten Jahren ausschauen wird. Seit 2000 hat die EU der Energiewende stärkere Impulse gegeben, als es manche Leute wahrnehmen. Es geht darum, den Bürgern, Politikern und allen anderen Akteuren zu erklären, was die EU getan hat, um voranzutreiben, was die Zukunft der Energie sein wird – erneuerbare Energien, Energieeffizienz und verstärkte Vernetzung.

Sie sind den traditionellen Energieversorgern gegenüber sehr kritisch. Werden diese in Zukunft eine Rolle spielen?

Claude Turmes: Abgesehen von einigen wenigen Energieunternehmen waren all die anderen nicht in der Lage, die Energierevolution vorherzusehen. Ihre erste Reaktion war „Stoppen wir sie“, und bei der Gründung der Magritte-Gruppe ging es genau darum. Diese hat auf höchster Ebene – bei Premierministern, der europäischen Kommission etc. – lobbyiert, um die europäischen Rahmenbedingungen für die Energiewende zu zerstören. Aktuell habe ich jedoch den Eindruck, dass immer mehr Energieunternehmen verstehen, dass diese Veränderung auf jeden Fall stattfinden wird und es ihre letzte Gelegenheit ist da dabeizusein.

Wie positioniert sich die Magritte-Gruppe heute?

In den vergangenen Jahren hat sie eine sehr sehr negative Rolle gespielt. Meiner Analyse nach erklärt ihr Lobbyismus, warum eine ganze Reihe politischer Entscheidungsträger und sogar (der frühere Kommissionspräsident) Barroso eine negative Haltung dazu eingenommen haben, was wahrscheinlich eine der größten Chancen für die europäische Wirtschaft ist – eine Führungsrolle in der Energiewende einzunehmen. Mittlerweile haben verschiedene Mitglieder wie Eon mit ihrem CEO Johannes Teyssen, ein langjähriges Mitglied, die Magritte-Gruppe verlassen.

Manche Leute sagen, die Energiewende sei einfach zu teuer.

Die gute Nachricht ist, dass die Erneuerbaren teuer waren, es aber jetzt nicht mehr sind. Investitionen in Erneuerbare sind heute kostenseitig wettbewerbsfähig oder sogar billiger als Alternativen. Der ökonomischen Vernunft folgend würde man versuchen, 100% Erneuerbare so schnell wie nur möglich zu schaffen. Die Verlangsamung der Energiewende rührt eher daher, dass Altbestand geschützt wird, speziell unsere enormen Überkapazitäten an Kohle und Atomkraft. In gewissem Sinne geht es nicht mehr darum, wie schnell wir Erneuerbare und Energieeffizienz schaffen, sondern wie schnell wir alte Energien abbauen können, um Platz für den neuen zu schaffen.

Was erwarten Sie vom Clean-Energy-Paket der Europäischen Kommission? Dieses schlägt keineswegs den Abbau alter Energien vor.

Die derzeitigen Vorschläge sind teilweise die Folge der Lobbyarbeit der Magritte-Gruppe und der Haltung zu vieler politischer Entscheidungsträger, dass diese Energiewende eine Belastung sei. In meinem Buch versuche ich zu zeigen, dass es nicht darum geht, eine Last zu teilen, sondern eine Chance. Zu lange schon hat Europa Milliarden ausgegeben, um Öl, Gas, Kohle und Uran von außerhalb zuzukaufen. Die Energiewende ist eine Chance, innerhalb Europas Arbeitsplätze und zusätzliche Wertschöpfung zu schaffen.

Werden Sie die Idee verbindlicher nationaler Ziele für Erneuerbare und Energieeffizienz nocheinmal einbringen?

Ich werde sie zumindest ernsthaft erwägen. Sie haben die erfolgreiche Entwicklung der erneuerbaren in den vergangenen Jahren ermöglicht, und alle Investoren sagen mir, dass verbindliche Ziele und stabile Fördersysteme der beste Weg sind, um Kapitalkosten zu reduzieren. Ich habe versucht, einen neuen Zugang – regionale Kooperation – zu entwickeln, um von der fruchtlosen Diskussion national versus europäisch wegzukommen. Das ist vor allem für den Stromsektor ein wichtiger Punkt. Jeder weiß, dass es billiger ist, die Stromversorgung in größeren geographischen Gebieten zu organisieren als nur auf nationaler Ebene. Was ich in meinem Buch vorschlage und was ich als Berichterstatter der Governance-Regeln (Teil des Clean-Energy-Pakets) vorschlagen werde, ist, die Regierungen zur Zusammenarbeit zu motivieren.

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Dieser Artikel erschien in unserer Mitglieder-Zeitung "windenergie".