Auslaufmodell Atomkraft

Der Atomwahnsinn muss raschest beendet werden.

© Thomas Einberger / Greenpeace | ninell (Fotolia)
 © Thomas Einberger / Greenpeace | ninell (Fotolia)

Weltweit kämpft die Atomindustrie mit allen Mitteln ums Überleben, auch in Europa unternimmt die Atomlobby verzweifelte Versuche, nicht vollends aus der Stromproduktion verdrängt zu werden. Es gibt keine objektiven Argumente, diese hochriskante Technologie weiterhin künstlich am Leben zu erhalten. Doch zu viele Macht- und Geldinteressen hängen an dem Geschäft mit der Kernspaltung. Freiwillig wird die Atomindustrie nicht aufgeben, jedoch könnte ihr ihre eigene Performance zum Verhängnis werden. Hier ein paar Fakten (Stand Juli 2016).

Überalterung: Außer in China gibt es keinen nennenswerten Neubau, die Hälfte aller 402 weltweit in Betrieb befindlichen Reaktoren ist älter als 30 Jahre, 59 sind sogar schon mehr als 40 Jahre am Netz. Bis 2030 müssten 187 Anlagen nach dem Ende ihrer Laufzeit ersetzt werden – das sind viermal so viele, wie in den letzten zehn Jahren insgesamt gebaut wurden.

Bauverzögerungen: 58 Reaktoren sind derzeit in Bau, und das im Schnitt schon mehr als sechs Jahre. Zwei Drittel davon (38) sind massiv hinter ihrem Zeitplan zurück. Die durchschnittliche Bauzeit der letzten 46 errichteten Anlagen betrug mehr als 10 Jahre. Beispiele: Das franzöische AKW Flamanville-3 ist seit Dezember 2007 in Bau und wegen Problemen bei der Qualitätskontrolle mittlerweile sechs Jahre verspätet. Der Bau des finnischen Atomprojekts Olkiluoto-3 startete im August 2005, ist heute neun Jahre hinter Fahrplan mit dreimal so hohen Kosten als geplant.

Baustopp: Zwischen 1977 und 2016 wurden 92 aller in Bau befindlichen Projekte in unterschiedlichen Stadien gestoppt – das ist jedes achte Bauprojekt.

Wertverlust der Unternehmen: Besonders hart an die Substanz geht den im Atomgeschäft tätigen Unternehmen ihr Wertverlust. Sie kämpfen mit dem Absturz der Großhandelsstrompreise verbunden mit steigenden Produktionskosten in alternden Anlagen und verschärftem Wettbewerb, vor allem durch erneuerbare Energien. In Europa wurden Energieriesen wie EDF, E.ON, RWE oder Vattenfall von den Rating-Agenturen zurückgestuft, was zu massiven Kursverlusten an den Börsen führte. In Asien fiel der Kurs des Betreibers Tepco nach dem Fukushima-Desaster ins Bodenlose und konnte sich seither nicht wieder erholen. Der Kurs des chinesischen Atomriesen CGN an der Börse in Hongkong fiel seit Juni 2015 um 60%. In den USA liegt der Aktienwert des dort größten Atombetreibers Exelon 60% niedriger als bei seinem Höchststand 2008. Das staatlich kontrollierte französische Atomunternehmen Areva ist bankrott, nachdem es in fünf Jahren einen Verlust von zehn Milliarden Euro angehäuft hat.

Steigende Betriebskosten: In einigen Ländern (Belgien, Frankreich, Deutschland, Schweden, USA) sind die Betriebskosten pro Reaktor so stark gestiegen, dass sie bereits das Niveau der Verkaufserlöse erreicht oder sogar überschritten haben.

Vergleich mit erneuerbaren Energien: Die weltweiten Investitionen in erneuerbare Energien haben 2015 mit 286 Milliarden US-Dollar einen neuen Höchststand erreicht, die Investitionen in Atomenergie lagen um ein Zehnfaches niedriger. Seit dem Jahr 2000 wurden weltweit 417 GW Windkraft und 229 GW Photovoltaik installiert, die Kapazität der Atomkraft schrumpfte um 8 GW. In der EU hat die Windkraftleistung schon 2013 die gesamte AKW-Leistung überholt. Nachdem die Windkraft 2016 auch die Leistung der Kohle übertroffen hat, ist sie jetzt die zweitstärkste Kraft der Stromerzeugung in der EU.

All das zeigt, dass die überalterte Atomindustrie kontinuierlich abbaut, während die jungen erneuerbaren Energien stetig expandieren. Die Atomlobby wird nicht freiwillig weichen, aber alle Anzeichen sprechen dafür, das sie wird weichen müssen. Je eher dieser Atomwahnsinn beendet wird, desto weniger Schaden kann er anrichten.

Strahlende Nachbarn

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Österreich umzingelt von Atomkraftwerken. Als es am 26. April 1986 im Atomkraftwerk Tschernobyl zu einer Katastrophe gewaltigen Ausmaßes kam, breitete sich rasch eine stark kontaminierte radioaktive Wolke über Europa aus. Was viele schon vergessen haben: Österreich zählte damals zu den am stärksten verstrahlten Gebieten außerhalb der Kernzone und verzeichnete teilweise enorm hohe Cäsium-137-Konzentrationen, und das obwohl Wien über 1.000 Kilometer Luftlinie von Tschernobyl entfernt ist. Im Vergleich zu Tschernobyl stehen die heutigen AKW in unseren Nachbarländern quasi im Vorgarten Österreichs. Wussten Sie übrigens, dass Österreich im Rahmen des EURATOM-Vertrages die europäische Atomindustrie jährlich mit 40 Millionen Euro aus Ihren Steuergeldern fördert? Und wussten Sie, dass Österreich noch immer rund 13% Atomstrom importiert? Denn der Großteil des nach Österreich importierten Stroms kommt aus deutschen und tschechischen Kohle- und Atomkraftwerken.

Atom raus aus Europa

Die EU muss endlich radikal umdenken. 1,8 Milliarden Euro kostet die neue gigantische Schutzhülle über den zerstörten Reaktorblock 4 im AKW Tschernobyl, und natürlich zahlt auch die EU einen stattlichen Beitrag dazu. Gleichzeitig genehmigt sie Großbritannien und Ungarn großzügige staatliche Förderungen für neue AKW-Projekte in Hinkley Point und Paks. Förderungen, die die EU den erneuerbaren Energien vorenthalten will, weil diese sich am angeblich so freien Markt bewähren sollen. Und warum müssen sich AKW nicht am Markt bewähren? Ganz einfach: Weil sie sonst nicht finanzierbar wären. Der britische Rechungshof hat kritisch angemerkt, dass die Stromerzeugung mit erneuerbaren Energien bedeutend billiger wäre. Mit den rund 170 Milliarden Euro, die EDF, der Betreiber von Hinkley Point, über die gesamte Laufzeit an Förderungen erhalten würde, könnte die gesamte Windkraftleistung in Europa mit einem Schlag verdoppelt werden. Aber auf dem strahlend gelben radioaktiven Auge ist die EU blind, gemäß ihrer Vorgangsweise: sanft zu fossiler, blind gegenüber atomarer, aber hart gegen erneuerbare Energie. Blind auch in dem Sinn, als das Thema „Atomkraft“ in dem angeblich wegweisenden Energie-Winterpaket der EU-Kommission nicht einmal erwähnt wird. Augen zu und durch. Doch die EU sollte endlich die Augen aufmachen und zur Kenntnis nehmen, dass die Energie- und Klimazukunft nur mit erneuerbaren Energien gestemmt werden kann.

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Dieser Artikel erschien in unserer Mitglieder-Zeitung "windenergie".