Wir haben keine Zeit mehr

Der Klimawandel kann nur dann gestoppt werden, wenn wir sofort handeln. Ein Interview mit dem renommierten Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber.

Gerhard Scholz: Wie realistisch ist es, den Anstieg der Erdtemperatur langfristig zumindest unter der 2 °C-Grenze zu halten?

© nimfuehr-kollektivfischka
 © nimfuehr-kollektivfischka

Hans Joachim Schellnhuber: Ende Februar sind wir zum ersten Mal auf der nördlichen Halbkugel über die 2 °C-Anomalie hinausgeschossen, und da ich diese Entwicklung schon lange verfolge, wird mir da angst und bang. Ich weiß selbstverständlich, dass wir in diesem Jahr den Wärmeschub durch einen massiven El Nino(1) hatten, den wir übrigens mit einer ziemlich raffinierten physikalischen Methode exakt vorausgesagt haben, und natürlich wird es danach auch wieder eine Gegenschwingung geben, wenn kaltes Wasser vor Südamerika emporquillt. Dann werden ein paar Leute „Entwarnung“ rufen und den Klimawandel für abgesagt erklären. Entscheidend ist aber der langfristige Trend. Man sieht klar, dass die Temperaturentwicklung ähnlich wie eine Treppe verläuft, nämlich im Zickzack, aber immer weiter nach oben steigend. Noch ist es möglich, diesen Anstieg auf weniger als zwei Grad zu begrenzen, aber dafür müssen wir unseren Ausstoß von Treibhausgasen rasch senken.

Ich habe bei Ihrem Vortrag richtiggehend Herzklopfen bekommen, weil die Aussagen so bedrohlich sind. Haben die Staaten, die Politiker und die Entscheidungsträger außerhalb der Wissenschaft schon kapiert, wie hoch die Dringlichkeit ist?

Ich glaube, sie haben es durchaus verstanden. Ich war bei vielen dieser Konferenzen dabei, auch in Kopenhagen(2), und ich merke: Die Stimmung hat sich verändert. Das ganze Gewäsch der sogenannten Klimaskeptiker hat in Paris überhaupt keine Rolle mehr gespielt. Man hat begriffen, dass die Wissenschaft klare und eindeutige Befunde hat. Was ich in meinem Vortrag beim AWES präsentiert habe, war noch lange nicht das Worst-Case-Szenario, das war nur die mittlere Erwartung. Heute wissen auch Länder wie Indien, dass es ihnen an den Kragen ginge, wenn die Erderwärmung unbegrenzt fortschreiten würde. Insofern war Paris schon ein Wendepunkt. Gemeinsam hat man gleichsam ein großes Narrativ(3) formuliert. Und „gemeinsam“ ist ganz wichtig. Da waren die kleinen Inselstaaten genauso dabei wie Putin für Russland, das muss man sich einfach mal vorstellen. Ich habe Putin 2003 in Moskau getroffen, da hat er noch ganz anders geredet.

Wenn Paris ein Wendepunkt war, also eine Art Neuanfang, was muss jetzt geschehen?

Wir reden hier über nichts weniger als den Umbau der Weltwirtschaft in den nächsten drei bis vier Jahrzehnten. Die große Gefahr dabei ist, dass die Tagespolitik, die Tagesängste - Stichwort Flüchtlinge - sofort wieder diese großen strategischen Herausforderungen in den Hintergrund drängen. Leute wie Umweltministerin Barbara Hendricks und Angela Merkel wissen ganz genau, was jetzt ansteht. Trotzdem muss die Kanzlerin jetzt auf Flüchtlingsgipfeln sitzen und mit der Türkei verhandeln. Das kennen wir ja aus unserem eigenen täglichen Leben: Wir schieben manchmal wirklich wichtige Angelegenheiten zur Seite, weil noch schnell ein paar kurzfristige Dinge erledigt werden müssen. Ich habe das einmal die „Diktatur des Jetzt“ genannt, von der wir beherrscht werden - und das ist das Problem.

Wie viel Zeit haben wir noch, die Wende einzuleiten, wie viel Zeit können resp. dürfen wir uns noch nehmen?

Da meldet sich der Physiker in mir und sagt: Wir haben gar keine Zeit mehr. Die Natur verzeiht ein Zaudern nicht, weil manche dieser Veränderungen im Erdsystem praktisch unumkehrbar sind - ich habe hierfür den Begriff der Kippelemente mit geprägt. Wenn das Grönland-Eis erst einmal anfängt zu schmelzen, wird die Oberfläche grauer und dunkler, das Eis sinkt in tiefere Gefilde, wo die Lufttemperatur ohnehin schon wärmer ist, und dann beschleunigt sich dieser Vorgang. Das ist, wie wenn Sie irgendwo eine Weiche falsch stellen: Wenn der Zug an der Weiche erst einmal vorbei ist, dann können Sie ihn nicht mehr zurückholen. Das ist es, was mich wirklich umtreibt, und daher lautet auch meine Botschaft: Wenn man Paris wirklich ernst nimmt, und die Staatengemeinschaft will ja sogar unter 1,5 °C bleiben, dann muss die große Transformation sofort beginnen. Dann muss jedes Land der EU, aber auch die USA, China, Indien, dann müssen alle sofort zurück an den Schreibtisch und ihre Energie- und Klimapläne neu schreiben. Sonst ist das Pariser Abkommen Makulatur.

Nochmal gefragt: Was muss jetzt geschehen?

Der positive Aspekt für mich als Wissenschaftler, aber gleichzeitig auch das Unbegreifliche ist, dass wir grundsätzlich alle Instrumente schon in der Hand haben, alle Technologien, alle Systemlösungen, um genau diese Wende zu schaffen. Ich nenne immer dieses Beispiel: An demselben Ort, wo der Transistor erfunden wurde, der dann die alten Röhren ersetzt hat, das war Anfang der 1950er Jahre in den Bell Labs in Murray Hill, New Jersey, wurde auch die Solarzelle erfunden. Übrigens als Zufallsprodukt: Man hat mit einem Transistor herumgespielt und vergessen, die Jalousie runterzuziehen. Dann ist Licht darauf gefallen und das Gerät hat verrückt gespielt. So entdeckt man neue Dinge. Und seitdem haben wir einen Teil der Lösung - die Solarenergie, eine entscheidende Technologie, ähnlich wie die Windenergie. Wir müssen nichts Großartiges mehr völlig neu finden, wir haben die Lösungen. Aber wir müssen sie wirtschaftlich machen, müssen sie in eine ganz andere Größenordnung bringen.

Klingt im Grunde ganz einfach, scheint aber doch nicht so einfach zu sein?

Wir haben eine total verrückte Situation: Wir haben erstens das richtige politische Narrativ, wir haben aber zweitens die ständige Ablenkung durch diese ganzen Konflikte, Ängste und Ideologien, und wir haben drittens die technischen Lösungen schon im Regal liegen. Und jetzt müssen wir eben das Erste und das Dritte zusammenbringen. Wir müssen diesen Alltagssumpf überwinden.

Die zwei Schwergewichte USA und China haben in Paris beeindruckende Absichtserklärungen abgegeben, aber dann kommt Obama nach Hause und der Senat stoppt seinen Clean Power Plan. Was sind das für Zeichen?

Das hat eine Geschichte. Der größte Feind des Guten ist bekanntlich das Bessere und das Beste. Ich höre von der Industrie immer: Gebt uns ein „global level playing field“, also gleiche Rahmenbedingungen für alle auf der Erde, dann dekarbonisieren wir sofort. Sie sagen also: Gebt uns die beste aller Welten - also zum Beispiel eine globale Kohlenstoffsteuer -, und dann legen wir los. Was nur eine Ausflucht ist, um erstmal nicht loszulegen. Ich habe das genau verfolgt, denn Obamas führender Wissenschaftsberater, der Harvard-Physiker John Holden, ist ein guter Freund von mir. Obama wollte am Anfang das bestmögliche System - ein Emissionshandelssystem - implementieren, das ist aber nicht erst im Kongress, sondern schon an seinen eigenen Parteikollegen gescheitert. Erst in seiner zweiten Amtszeit hat er gelernt, dass er genauso per Verfügung, also einer „presidential administration“, die Kohlekraftwerke in den Griff bekommen kann. Es ist nicht die beste aller Möglichkeiten, aber es ist eine Möglichkeit, und die wird nicht mehr gekippt werden.

Und was tut sich in China und anderen Ländern?

Wenn Sie in letzter Zeit einmal in Beijing waren und den Smog dort miterlebt haben, dann wird Ihnen klar, dass China allein schon wegen der katastrophalen Luftverschmutzung entschieden Maßnahmen ergreifen muss. Tatsächlich hat es zehntausend Kohlegruben geschlossen. Möglicherweise hat China bereits den Gipfel der Emissionen erreicht. Jedes Land wird auf seine Weise Entscheidungen treffen. Aber was wirklich entscheidend ist, ist jetzt Geschwindigkeit, Geschwindigkeit, Geschwindigkeit. Die wenigsten Menschen wissen, was die Halbwertszeit von CO2 ist. Also wenn wir eine Tonne CO2 durch Verbrennung zusätzlich ins System bringen, wann sind dann 50% dieses CO2 wieder aus dem System heraus? Was schätzen Sie?

10.000 Jahre?

Ziemlich gut, aber die richtige Antwort ist rund 35.000 Jahre. CO2 hat eine längere Halbwertszeit als Plutonium (Anm.: rund 24.000 Jahre). Mit anderen Worten: Wenn wir jetzt jedes Jahr 40 Gigatonnen, also 40 Milliarden Tonnen CO2 emittieren, dann bleiben die sehr lange im System. Das ist wie eine Vergiftung, die man nicht aus dem Körper herausholen kann. Das alles Entscheidende ist daher Geschwindigkeit. Und um einen optimistischen Aspekt anzusprechen: Die Vorbildwirkung positiver Beispiele ist ganz wichtig. Dänemark wurde beim AWES als herausragendes Beispiel vorgestellt, Deutschland ist sehr weit gekommen. Österreich hat hervorragende Voraussetzungen an erneuerbaren Energien, muss aber an den problematischen Transportsektor ran.

Die große Transformation wird oft nur im Energiesektor gesehen, aber es geht doch um das gesamte sozio-ökonomische System. In der päpstlichen Enzyklika „Laudato si“, die Sie ja prägend mitgestaltet haben, kommt zwar kein einziges Mal das Wort Kapitalismus vor, es ist aber die schärfste Kapitalismuskritik, die ich seit langem gelesen habe.

Das Wort kommt expressis verbis nicht vor, aber es ist tatsächlich eine scharfe Kapitalismuskritik. Allerdings ist es nicht notwendigerweise eine Marktkritik. Auch Papst Franziskus sagt: Was spricht dagegen, dass Märkte Suchprozesse organisieren? Zugleich weist er jedoch darauf hin, dass die jetzige Marktgestaltung vor allem denen in die Hände spielt, die ohnehin schon viel besitzen. Die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auf. Was wir in Deutschland soziale Marktwirtschaft nennen, gibt es in den meisten Ländern dieser Welt nicht.

Und wie hinterfragbar ist der Mythos endlosen Wachstums in einer Welt endlicher Ressourcen?

Dabei geht es um zwei Dinge. Zum einen kann ich sagen: Wachstum, ja warum nicht? Da kommt es dann darauf an, wie ich das messe. Wenn ich konventionell argumentiere, würde ich sagen: Die anstehende große Transformation der Weltwirtschaft ist eine ungeheure Chance, neue Märkte zu entwickeln, neue Arbeitsprozesse und neue Jobs zu schaffen - zum Beispiel durch den Ausbau der erneuerbaren Energien, zum Beispiel durch Kreislaufproduktion, zum Beispiel durch eine neue Art, Städte zu bauen, nämlich mit Holz und Karbonfasern statt Stahl und Beton. Wenn ich überhaupt in der Art messen will, welche Werte durch Produktion und Dienstleistung geschaffen werden, wäre das die größte Chance, die Moderne wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Der zweite Punkt ist aber in der Tat: Wie messe ich Wachstum? Ist es mein Ziel, dass die Stoffströme immer größer und schneller werden? Oder geht es letztendlich nicht um das, was wir alle wollen, nämlich um Glück und Zufriedenheit? Also wie viel Glück kann ich mit welcher Wirtschaftsweise generieren?

Sie spielen auf den Begriff des Bruttonationalglücks in Bhutan an?

Ja, natürlich. Wobei: Auch dort geht es den Menschen objektiv nicht gut. Glück ist, dass ich keine Angst vor Krieg haben muss, dass ich meine Grundbedürfnisse befriedigen kann, vor allem aber, dass ich meine Persönlichkeit entfalten kann, dass ich kreativ sein kann, dass ich Freunde habe und so weiter. Wenn ich das durchdenke, und so denkt auch Papst Franziskus, dann wird die immerwährende materielle Beschleunigung der Weltwirtschaft uns gerade nicht glücklicher machen. Und so gesehen wird man über das Bruttoinlandsprodukt als herkömmlichen Indikator nachdenken müssen.

Also ist ein Paradigmenwechsel angesagt?

Grundsätzlich ja, aber selbst, wenn ich im alten Paradigma bliebe, dann würde ich durch den Umbau der Industriegesellschaft in Richtung Klimaneutralität ja genau jenes Wachstum schaffen können, nach dem alle gieren, und das auf dem konventionellen Pfad nicht mehr gelingt. Schauen Sie sich doch an, die Exporte in China brechen gerade ein, es sind schon so viele billige T-Shirts produziert worden, dass jeder Teenager zehn davon im Schrank hat. So wird die Wirtschaft nicht mehr wachsen.

Aber abgesehen vom kurzfristigen pragmatischen Zugang müsste man doch auch die Parameter des Gesamtsystems hinterfragen. Es ist grundsätzlich die Frage, ob die Verzinsung eingesetzten Kapitals, zum Beispiel auch mit klimafreundlichen Technologien, in einem transformierten System noch Platz hat.

Man kann es sich natürlich leicht machen, wie Naomi Klein es in ihrem Buch „Kapitalismus vs. Klima“ tut, die sagt: Wir müssen erst den Kapitalismus abschaffen, dann können wir auch das Klima retten. Das wird aber schon deshalb nicht klappen können, weil wir die Zeit dafür nicht mehr haben. Ich glaube, es wird umgekehrt gehen: Wenn wir lernen, mit unseren Ressourcen sorgsamer umzugehen, wenn wir die Diktatur des Jetzt überwinden, in der wir die Vergangenheit plündern und den Nachfolgegenerationen den Müll hinterlassen, dann wird die Wirtschaft sich auch stärker am Gemeinwohl orientieren, ohne deswegen in eine antikapitalistische Planwirtschaft überzugehen. Wie man diese Wirtschaftsweise dann nennt, ist mir vollkommen egal.

Die Enzyklika beschreibt als Wesenszug des technokratischen Paradigmas, dass wir die uns umgebende Welt nur als Objekt wahrnehmen. Welches neue Weltbild werden wir für die große Transformation brauchen?

Ich denke, nach dem Zweiten Weltkrieg ist ein völlig falsches Bild davon entstanden, was Wohlergehen für den Menschen bedeutet - im wesentlichen, weil wir Zugang zu Kohle und vor allem zu billigem Erdöl hatten sowie durch die Digitalisierung und Globalisierung. Die Leute sehen es heute als ihr Wohlergehen an, sich ins Flugzeug zu setzen und über das Wochenende nach New York zu fliegen, um dort in einer Shopping Mall einkaufen zu gehen. Das hat dazu geführt, dass wir in den industrialisierten Ländern nicht einmal mehr Kinder haben wollen, weil die beim Shopping nur stören. Dabei entgeht einem das Beglückendste, was es im Leben geben kann, wenn man nämlich mit einem kleinen Kind einfach in die Natur geht. Ich bin wahrlich kein Romantiker, aber diese Erfahrungen sind so überwältigend, dass man sich fragt: Warum hat das nicht schon immer im Zentrum meines Lebens gestanden?

Ein klassischer Irrweg wie in einem antiken Drama?

Ich glaube, es wurde uns einfach ein falscher Traum der Moderne verkauft, der uns in diesem Gefängnis festhält, immer mehr zu produzieren und immer reicher zu werden. Ich kenne Leute, die waren früher Investmentbanker in London, haben eine Menge Geld gemacht und sich dann mit 40 Jahren zur Ruhe gesetzt. Und was tun sie jetzt? Sie führen ein Weingut in Umbrien, arbeiten selber im Weinberg, und jetzt sind sie glücklich. Das hätten sie aber auch schon vorher haben können.

Da haben sie sich aber das Weingut nicht leisten können.

Stimmt schon. Aber das geht auch, wenn man sich nur anstellen lässt.

Der Titel Ihres Buches „Selbstverbrennung“ ist einerseits ein Hinweis auf die starke Erderwärmung, wo dann unsere Körper und unsere Organe tatsächlich verbrennen, der zweite Aspekt ist aber, dass Sie selber sich in der Öffentlichkeit öfters die Finger verbrennen mussten. Was treibt Sie an, sich trotzdem dieser Konfrontation zu stellen?

Ich muss leider sagen, manchmal wurde es ausgesprochen hässlich. Nach Kopenhagen wurde der sogenannte „Climate-Gate-Skandal“ inszeniert. Gestohlene Schriftstücke wurden in Umlauf gebracht, die suggerieren sollten, dass Klimaforscher Daten manipulieren. Da waren gehackte E-Mails auch von mir dabei, die interessanterweise über einen Server in Sibirien verbreitet wurden. Natürlich haben sich all diese Unterstellungen gegen die Klimaforschung als haltlos erwiesen, es gab mehrere unabhängige Untersuchungen dazu. Aber ich bekomme nach wie vor sogar Todesdrohungen. Ich habe in Australien einen Vortrag gehalten, da stand plötzlich jemand mit einer Henkerschlinge vor mir und sagte: „Wenn du hier noch länger bleibst, ist es das, was dich erwartet.“ Sie können sich gar nicht vorstellen, welch bösartigen Einschüchterungsversuchen man da ausgesetzt ist. Das habe ich mir natürlich nicht träumen lassen, wie ich als Physiker beschlossen habe, in diese Thematik zu gehen. Ich habe ja in meinem Vortrag diese Eiszeit-Ergebnisse vorgestellt, ich fand das damals einfach nur faszinierend.

Offenbar „schmecken“ Ihre Ergebnisse nicht allen Marktbeteiligten?

Nein, es ist wahrlich nicht leicht, heute Klimaforscher zu sein, und viele meiner Kollegen haben sich tatsächlich einschüchtern lassen. Viele sind mundtot gemacht worden, und sei es nur in dem Sinn, dass sie sagen: „Na ja, ich bin ja nur Wissenschaftler, ich sitze in meinem Studierstübchen und publiziere in Zeitschriften, die zwar renommiert sind, aber völlig unverständlich für normale Menschen, und dabei lass ichŽs bewenden. Schaut ihr da draußen halt selber, was ihr mit diesem ganzen Wahnsinn anstellen wollt.“

Und Sie ....

Was wäre, wenn ich Epidemiologe wäre, und ich würde entdecken, dass gerade ein Supervirus am Entstehen ist, das hochansteckend ist, das nicht behandelt werden kann, das sich blitzschnell über die Erde verbreiten würde und eine Gefahr für die Menschheit wäre? Würde ich das dann in „The Lancet“, der führenden Medizinzeitschrift, publizieren – und ansonsten darüber schweigen? Ich denke, das würde mindestens den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung erfüllen.

Woher nehmen Sie also den Mut weiterzutun?

Das beschreibe ich in meinem Buch. Das beginnt mit dem Tod meiner Mutter, eine Reflexion auf meine niederbayrische Heimat nahe an der österreichischen Grenze im Landkreis Passau, und endet mit der Geburt meines Sohnes. Das ist die Klammer, und wer es lesen will, der wird erfahren, dass ich, glaube ich, sehr früh begriffen habe, was im Leben wirklich wichtig ist. Die wissenschaftliche Entdeckung ist mir auch wichtig, ich arbeite in Potsdam, dort, wo Einstein, Michelson und Schwarzfeld gearbeitet haben, das ist eine großartige Erfüllung. Aber wenn man dann so viel gelernt hat, durchaus mühsam, manchmal in die Irre gegangen ist, und dann am Ende doch sehr gesichertes Wissen hat – dann kann man nicht einfach schweigen. Man würde nämlich sonst die Achtung vor sich selbst verlieren.


____
Erklärungen:
(1) El Nino, „das Christkind“: Ein Wetterphänomen, bei dem meist zur Weihnachtszeit im Pazifik vor Südamerika nicht-zyklische Strömungen auftreten, die zu einer Erwärmung des Oberflächenwassers und in der Folge zu Orkanen, sintflutartigen Regenfällen und Flutkatastrophen in Süd- und Mittelamerika führen.

(2) UN-Klimakonferenz 2009, die eine der am wenigsten erfolgreichen war und nur einen völlig unverbindlichen „Minimalkonsens“ hervorgebracht hatte.

(3) In diesem Fall: Verfahrensmodus