Halbherziges EU-Winterpaket

Mutlose Pläne der EU werden den Zielen der Energiewende nicht gerecht.

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Ende November hat die EU-Kommission unter dem Arbeitstitel „Winterpaket“ ihre Überlegungen für den Übergang zu einem klima- und umweltfreundlichen Energiesystem bis 2030 vorgelegt. Arias Canete, EU-Kommissar für Klimaschutz und Energie, sprach von einem „sehr eindrucksvollen Paket, das den Weg frei macht für ein wettbewerbsfähigeres, modernes und saubereres Energiesystem“.
Das Erfreuliche daran ist, dass die EU-Kommission offenbar beginnt, bislang starre Positionen zu überdenken, wie der eine oder andere Ansatz zeigt. In Summe aber lässt das Paket in seiner jetzigen Form nicht erkennen, dass die EU-Kommission auch wirklich die gewaltige Herausforderung verstanden hat, die der notwendige Umbau des Energiesystems für Europa bedeutet.

Schwache Ziele

Als hätte die EU mit aller Kraft verdrängt, dass auch sie das rechtlich verbindliche Pariser Klimaabkommen unterzeichnet hat, behält sie trotz aller vollmundigen Absichtserklärungen das alte Muster bei – sanft zu fossiler, blind gegenüber atomarer, hart gegen erneuerbare Energie. Kämen die vorgeschlagenen Pläne in dieser Form zum Tragen, besteht sogar die Gefahr, dass Europa ein ganzes Jahrzehnt auf dem Weg in eine moderne Energiezukunft verliert.
Bisher hatte die EU für 2030 folgende Ziele formuliert: 27% erneuerbare Energien, 40% CO2-Reduktion und 27% Reduktion des Energieverbrauchs. Zumindest bei der Energieeffizienz hat sich die EU-Kommission bewegt. Dieser wird übergeordnete Priorität zugesprochen und eine weitere Verbesserung angestrebt. Als neues Ziel schlägt die Kommission nun eine verbindliche EU-weite Reduktion des Energieverbrauchs um 30% bis 2030 vor. Nicht übersehen werden darf dabei aber, dass auch mit dem 30%-Ziel die Energieeinsparungen geringer ausfallen müssten, als sie derzeit schon sind. Würden die Einsparungen auf dem derzeitigen Niveau weitergehen, würde dies sogar zu einer Reduktion von 40% führen, wie sie das Europäische Parlament ohnehin nachdrücklich fordert.
Die wohl größte Enttäuschung bereitet die EU-Kommission den erneuerbaren Energien. Obwohl sie angeblich die weltweite Technologieführerschaft in diesem Bereich übernehmen will, hält sie krampfhaft am 27%-Ziel fest und versucht sogar noch, dieses als „ambitioniert“ zu verkaufen. Doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache.
Die Kommission rechnet damit, dass in der Dekade 2020-2030 jährlich 75 Milliarden Euro in den Energiesektor investiert werden, ein Drittel davon – also 25 Milliarden – in erneuerbare Energien. Nun lagen die Investitionen in Erneuerbare schon in der letzten Dekade 2005-2015 im Jahresdurchschnitt bei 68 Milliarden Euro. Die Kommission hält also für ambitioniert, was de facto ein massiver Rückgang wäre. Sogar weitere Investitionen in fossile Energien in Höhe von 15 Milliarden Euro jährlich erwartet die Kommission.

Absolut unrealistisch

Da passt es ins Bild, dass die Kommission in ihren Kalkulationen von einem CO2-Preis von 38 bis 42 Euro pro Tonne ausgeht und auf Basis dieser Annahme den Einspeisevorrang für Erneuerbare verbieten und diese vollends dem derzeitigen Marktgefüge aussetzen will. Bekanntlich beträgt der CO2-Preis heute rund fünf Euro pro Tonne und höhere Preise sind auch deswegen nicht zu erwarten, weil die EU-Kommission nach wie vor nicht bereit oder in der Lage ist, den CO2-Emissionshandel verursachergerecht zu gestalten.
Obwohl allgemein klar ist, dass die Energiewende vor dem Hintergrund des Pariser Klimaabkommens deutlich an Geschwindigkeit zulegen muss, obwohl klar ist, dass das neue Marktdesign vollständig auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz ausgerichtet und umgestellt werden muss, lassen die Pläne der EU-Kommission nicht erkennen, dass auch sie diese Klarheit schon erlangt hat. In den einzelnen Zielen und Maßnahmen drückt sich das so aus.
• Das Ziel von 27% erneuerbare Energien bis 2030 ist viel zu niedrig angesetzt, die Pariser Klimaziele sind damit bei weitem nicht zu erreichen.
• Die 27% sind ein Gesamtziel für die EU, anders als bisher gibt es keine verbindlichen nationalen Ziele für die einzelnen Mitgliedstaaten.
• Die Freiheit der Mitgliedstaaten, über die Ausgestaltung ihrer Fördermodelle selbst zu entscheiden, wird drastisch eingeschränkt.
• Es gibt keinen Einspeisevorrang mehr für erneuerbare Energien (Ausnahmen: bestehende Anlagen und Kleinanlagen), für den Abbau der enormen fossilen und atomaren Überkapazitäten gibt es aber absolut keine Pläne.

Mit zweierlei Maß messen

Es muss gesagt werden, dass es in den Vorschlägen der EU-Kommission auch viele gute Ansätze gibt, das zentrale Problem aber ist, dass die Kommission nach wie vor mit zweierlei Maß misst, wo es einerseits um erneuerbare Energien und andererseits um fossile und atomare Energien geht. Die Erneuerbaren sollen sich endlich dem „freien Markt“ stellen und ihre Markttauglichkeit beweisen, deswegen werden ihnen bewährte Mechanismen wie stabile Fördersysteme oder der Einspeisevorrang entzogen, die wesentlich älteren und noch immer massiven Privilegien für fossile und atomare Energie werden dagegen nicht einmal angesprochen.
Nach wie vor ist die EU-Kommission nicht Willens oder nicht in der Lage, denn darniederliegenden Handel mit Emissionszertifikaten fair zu gestalten. Bestehende Kohlekraftwerke werden sich daher auch über das nächste Jahrzehnt keinem „freien Markt“ stellen müssen, wie es von den Erneuerbaren gefordert wird, und bekommen auch noch die Möglichkeit, sich in Kapazitätsmärkten Sondersubventionen abzuholen. Da mutet es schon wie ein kleines Wunder an, dass die Kommission sich durchgerungen hat, für neue Kohlekraftwerke eine Emissionsgrenze von 550 gCO2/kWh festzusetzen, was de facto den Neubau in Europa verunmöglicht.
Weiterhin einen Freifahrtschein gewährt die EU der Atomenergie, indem sie deren Privilegien völlig unangetastet lässt: keine Haftpflicht, keine Kosten für die Entsorgung des Atommülls, überproportional hohe staatliche Entschädigungen für AKW-Schließungen, überproportional hohe staatliche Subventionen für neue AKWs. Förderungen für erneuerbare Energien erschweren und beschneiden, aber exorbitant hohe staatliche Subventionen für das geplante britische AKW Hinkley Point C genehmigen – diesen Spagat muss die EU-Kommission erst noch erklären. Und auch das Projekt des ungarischen AKW Paks findet nur insofern in einem „freien Markt“ statt, als sich die ungarische Regierung weder um eine öffentliche Ausschreibung noch um das Verbot von Staatsbeihilfen scheren muss.
Aber die Zukunft der Energiewende wird nicht allein von den Plänen der EU-Kommission bestimmt, weshalb der für die Grünen im Europaparlament sitzende Abgeordnete Claude Turmes aufruft, aktiv und intensiv weiterzuarbeiten: „Wir werden versuchen, fortschrittliche Mitglieder des Europaparlaments und Mitgliedstaaten zu mobilisieren, um die sinnvollen Maßnahmen des Winterpakets zu erhalten und die weniger sinnvollen zu verbessern. Mehr als je zuvor müssen wir eine positive grüne Vision einbringen, die aufzeigt, was möglich ist. Wenn wir das schaffen, wird der Ruf nach erneuerbaren Energien ganz von selbst immer lauter werden.“

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Dieser Artikel erschien in unserer Mitglieder-Zeitung "windenergie".

Weiterführende Links

www.igwindkraft.at/eu-winterpaket-2016